Was ist eine Krankschreibung aus dem Ausland wert?

Urteil Der Woche KW04

Der Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert sein, wenn Umstände vorliegen, die zwar für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, in der Gesamtschau aber ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung begründen. Das entschied ganz aktuell das Bundesarbeitsgericht. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei einer in Deutschland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. 

Das ist passiert: 

Ein Arbeitnehmer ist seit 2002 als Lagerarbeiter bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt. In den Jahren 2017, 2019 und 2020 legte er im direkten zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor.  

Im August 2022 machte der Mitarbeiter Urlaub in Tunesien. Mit E-Mail vom 7. September 2022 teilte er seiner Arbeitgeberin mit, er sei bis zum 30. September 2022 krankgeschrieben. Beigefügt war ein Attest eines tunesischen Arztes, der in französischer Sprache bescheinigte, dass der Patient an „schweren Ischialbeschwerden” im Lendenwirbelbereich leide, und 24 Tage strenge häusliche Ruhe bis zum 30. September 2022 benötige. Während dieser Zeit dürfe er sich weder bewegen noch reisen. Einen Tag nach dem Arztbesuch buchte der Lagerarbeiter ein Fährticket für den 29. September 2022 nach Genua, von wo aus er mit seinem PKW weiter nach Deutschland reiste. Danach legte er der Arbeitgeberin eine Erstbescheinigung eines deutschen Arztes vom 4. Oktober 2022 vor, in der Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. Oktober 2022 bescheinigt wurde.  

Die Arbeitgeberin teilte dem Mitarbeiter mit, dass es sich ihrer Auffassung nach bei dem Attest vom 7. September 2022 nicht um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handele und lehnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab. Der Lagerarbeiter klagte dagegen und verlangte die entsprechende Zahlung. Ohne Erfolg! 

Das entschied das Gericht 

Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage zunächst abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat das Urteil abgeändert und die Arbeitgeberin zur Zahlung verurteilt. Doch in der letzten Instanz entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Sinne der Arbeitgeberin. Die vorherige Instanz hat zwar richtig erkannt, dass einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die in einem Land außerhalb der EU ausgestellt wurde, grundsätzlich der gleiche Beweiswert zukommt, wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung, wenn sie erkennen lässt, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden hat. Die LAG-Richter hatten jedoch bei der Würdigung der Umstände, die die Arbeitgeberin zur Begründung ihrer Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit vorgetragenen hatte, jeden einzelnen Aspekt einzeln betrachtet und die rechtlich gebotene Gesamtwürdigung unterlassen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der tunesische Arzt für 24 Tage Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, ohne eine Wiedervorstellung anzuordnen. Weiter buchte der Lagerarbeiter bereits einen Tag nach der attestierten Notwendigkeit häuslicher Ruhe und des Verbots, sich bis zum 30. September 2022 zu bewegen und zu reisen, ein Fährticket für den 29. September 2022 und trat an diesem Tag die lange Rückreise nach Deutschland an. Zudem hatte er bereits in den Jahren 2017 bis 2020 dreimal unmittelbar nach seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Diese Vorfälle mögen für sich betrachtet unverfänglich sein. In einer Gesamtschau begründen sie jedoch ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die der Mitarbeiter durch Beweise entkräften muss. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden. 

BAG, 15.01.2015 - 5 AZR 284/24 

Den Link zur Pressemitteilung findet Ihr hier.

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