Geltung für Tendenzbetriebe und Religionsgemeinschaften

Kommentar zu § 118 BetrVG

Sind die Regelungen des BetrVG anwendbar auf Tendenzbetriebe und Religionsgemeinschaften?

In sogenannten Tendenzbetrieben sind einige Vorschriften des BetrVG nicht oder nur eingeschränkt anzuwenden. Insbesondere betrifft dies die Regelungen über den Wirtschaftsausschuss in den §§ 106 bis 110 BetrVG, die nicht anzuwenden sind, und die Regelungen über Interessenausgleich und Sozialplan in den §§ 111 bis 113 BetrVG, die nur eingeschränkt anzuwenden sind. Dabei ist oft schwer zu erkennen, wann es sich überhaupt um einen Tendenzbetrieb handelt.

Keine Anwendung findet das Betriebsverfassungsgesetz auf Religionsgemeinschaften und deren Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser. Hier können also keine Betriebsräte gewählt werden. Entscheidend ist für die Frage, ob in einer Einrichtung einer Religionsgemeinschaft das BetrVG anwendbar ist und somit ein Betriebsrat gewählt werden kann, ist, ob die Religionsgemeinschaft überhaupt einen Einfluss auf den Betrieb hat.

Bei Unsicherheiten, ob der § 118 BetrVG gilt oder nicht, entstehen oft Streitigkeiten. In diesen Fällen kann eine gerichtliche Überprüfung Klarheit schaffen.

Was ist ein Tendenzbetrieb im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG?

Das Betriebsverfassungsgesetz wird in sogenannten Tendenzbetrieben eingeschränkt. Welche Art von Betrieben darunter fallen, wird im § 118 Abs. 1 BetrVG abschließend aufgezählt.

Tendenzbetriebe sind Betriebe, die unmittelbar und überwiegend

  • politischen,
  • koalitionspolitischen,
  • konfessionellen,
  • karitativen,
  • erzieherischen,
  • wissenschaftlichen oder
  • künstlerischen

Bestimmungen dienen.

Außerdem kommen Unternehmen der Berichterstattung oder Meinungsäußerung hinzu, auf denen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG anzuwenden ist.

Voraussetzung ist immer, dass das Unternehmen unmittelbar und überwiegend eines der oben genannten Themenfelder als Unternehmenszweck verfolgt. Dieses Erfordernis wäre nicht erfüllt, wenn das Unternehmen überwiegend wirtschaftlichen Zwecken nachgeht. Das Unternehmen darf also z. B. nicht überwiegend wirtschaftliche Ziele verfolgen und etwa nur „nebenbei“ erzieherisch tätig werden oder künstlerische Darbietungen zum Zweck kommerziellen Gewinnstrebens anbieten.

Zwei Beispiele:

„Tendenzbetrieb ja“  „Tendenzbetrieb nein“
Berufsakademien private Sprachschulen
Staatstheater o. -orchester Zirkus, Revuen

Die Maßstäbe an die Voraussetzungen sind dabei stets eng auszulegen. Die Frage, ob ein Unternehmen unter den Begriff „Tendenzbetrieb“ fällt oder nicht, ist von Rechtslaien kaum zu beantworten.

Bei Zweifeln über die Einordnung eines Betriebs als Tendenzbetrieb sollten Betriebsräte daher unter Hinzuziehung eines Fachanwalts für Arbeitsrecht oder mit Hilfe der Gewerkschaft eine arbeitsgerichtliche Klärung in einem Beschlussverfahren herbeiführen.

Welche Regelungen des BetrVG gelten in Tendenzbetrieben?

Handelt es sich um einen Tendenzbetrieb, so kann dort kein Wirtschaftsausschuss gebildet werden. § 118 BertVG regelt, dass der § 106 BetrVG, der die Bestimmungen zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses festlegt, keine Anwendung findet; ebenso wenig wie die §§ 107 bis 110 BetrVG.

Eine weitere Einschränkung für Tendenzbetriebe besteht beim Thema Sozialplan/Interessenausgleich und Nachteilsausgleich (§§ 111, 112,112a, 113 BetrVG). Diese Regelungen sind allerdings nicht vollständig unanwendbar, sondern gelten nur insoweit, als sie den Ausgleich oder die Minderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln. Der Betriebsrat ist deshalb auch in einem Tendenzbetrieb über eine geplante Betriebsänderung (siehe § 111 BetrVG) rechtzeitig und umfassend zu informieren und der Betriebsrat kann auch einen Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Arbeitgeber aushandeln (§ 112 BetrVG). Es besteht allerdings in Tendenzbetrieben keine Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zu versuchen.

Außerdem können – je nach Eigenart des Betriebes – weitere Beteiligungsrechte eingeschränkt sein, wenn „die Eigenart oder der Betrieb des Unternehmens dem entgegenstehen“ (§ 118 Abs. 1 BetrVG).

Bei Meinungsverschiedenheiten über die Anwendbarkeit der eines Paragrafen aus dem BetrVG auf einen Tendenzbetrieb empfiehlt es sich auch hier, gegebenenfalls mit Hilfe eines Rechtsanwaltes einen Antrag beim Arbeitsgericht zu stellen und eine Klärung auf dem Rechtsweg herbeizuführen.

Welche Einschränkungen gibt es bei Betrieben von Religionsgemeinschaften?

Das Betriebsverfassungsgesetz – und damit die Möglichkeit, Betriebsräte zu wählen – findet keine Anwendung bei

  • Religionsgemeinschaften (z. B. Kirchen) und deren
  • karitativen und erzieherischen Einrichtungen.

Karitativen Einrichtungen sind z. B. Missionen oder kirchliche Krankenhäuser, erzieherischen Einrichtungen einer Religionsgemeinschaft stellen beispielsweise kirchliche Kindergärten oder Jugendheime dar. Bei diesen karikativen oder erzieherischen Einrichtungen kommt es aber entscheidend darauf an, ob die Religionsgemeinschaft, also z. B. die Kirche, laut Satzung überhaupt maßgeblichen Einfluss auf die Einrichtung nehmen kann. Ist das der Fall, gilt das BetrVG überhaupt nicht und es kann dann z. B. in dem betroffenen kirchlichen Krankenhaus kein Betriebsrat gewählt werden.

Auch bei Religionsgemeinschaften kann über ein arbeitsgerichtliches Verfahren geklärt werden, ob der Tendenzcharakter des § 118 BetrVG gegeben ist oder nicht. Hierzu sollte auf jeden Fall ein Fachanwalt für Arbeitsrecht bzw. die Gewerkschaft hinzugezogen werden.

Hinweis: In kirchlichen Betrieben gilt ein eigenes Kirchenrecht, in dem die Bildung von Mitarbeitervertretungen vorgesehen sein kann. Die Rechte dieser Mitarbeitervertretungen sind jedoch im Vergleich mit den Rechten von Betriebsräten meist weniger stark ausgeprägt.

§ 118 - Geltung für Tendenzbetriebe und Religionsgemeinschaften

Auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend

  1. politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder
  2. Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes Anwendung findet,

dienen, finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Die §§ 106 bis 110 sind nicht, die §§ 111 bis 113 nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln.

Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform.

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