LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 13.07.2023 – 5 Sa 1/23
Wer krank bzw. krankgeschrieben ist, muss nicht gleichzeitig rund um die Uhr das Bett hüten und sich auch nicht mit schlechtem Gewissen zum Einkaufen der notwendigen Dinge aus dem Haus schleichen. Trotz Krankschreibung kann der Arbeitnehmer am normalen Leben teilnehmen. Aber Achtung: Die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht gebietet dem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer alles zu unterlassen, was die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit verzögern könnte, so die gängige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (v.3.4.2008 – 2 AZR 945/06).
Es reicht dabei aus, dass der Arbeitnehmer durch sein Handeln den Heilungsprozess ernsthaft gefährdet (BAG 26.8.1993 – 2 AZR 154/93).
Grundsätzlich ist erlaubt, was der Genesung dienlich ist. Und der arbeitsunfähige Arbeitnehmer muss alles dafür tun, dass er wieder gesund wird. Daher ist z.B. auch Sport möglich. So durfte sogar ein Arbeitnehmer, der wegen einer gebrochenen Schulter krankgeschrieben war, gefahrlos an einem Marathonlauf teilnehmen, da dies den Heilungsprozess nicht beeinträchtigt hat. Auch gegen Spaziergänge an der frischen Luft werden grundsätzlich als gesundheitsförderlich angesehen, besonders bei Burnout und Depressionen. Wer allerdings trotz Grippe oder einer ernsthaften Entzündung zum Skifahren oder Ähnliches geht, der muss mit einer fristlosen Kündigung rechnen.
In unserem aktuellen Urteil ging es um einen krankgeschriebenen Chefarzt. Dessen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde angezweifelt, weil er zehn Stunden mit der Bahn zu seiner Familie gefahren ist. Dann hätte er auch arbeiten können – so der Arbeitgeber. Das LAG teilte diese Bedenken nicht: Auch bei einer zehnstündige Bahnfahrt in der ersten Klasse sei die Belastung für den Facharzt für Orthopädie nicht annähernd so hoch gewesen wie in der Klinik. Die Fahrt erfordere weder Konzentration noch körperliche Anstrengungen, er könne eine bequeme Sitzhaltung einnehmen, oder sich bei Bedarf auch bewegen. In der Klinik hingegen sei er den gesamten Arbeitstag sowohl geistig als auch körperlich gefordert.