Bisher hat die Rechtsprechung Unterschiede in Tarifverträgen zwischen vorhersehbarer (geplanter) und nicht vorhersehbarer (ungeplanter) Nachtarbeit für unzulässig erklärt. Nach längerer Prozessgeschichte einschließlich eines Vorabentscheidungsersuchens zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG v. 22.02.2023 – 10 AZR 332/20) jetzt entschieden: Höhere Zuschläge für unregelmäßige Nachtarbeit sind legitim – unter einer Bedingung!
Dieser Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Getränkeindustrie. Die Arbeitnehmerin leistete dort Nachtarbeit im Rahmen eines Wechselschichtmodells. Im Arbeitsverhältnis gilt der Manteltarifvertrag zwischen dem Verband der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Hauptverwaltung vom 24. März 1998 (MTV). Dort ist geregelt, dass der Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % beträgt. Arbeitnehmer/innen, die Dauernachtarbeit leisten oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt werden, haben daneben für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit.
Die Mitarbeiterin erhielt für die von ihr geleistete regelmäßige Nachtschichtarbeit den Zuschlag iHv. 20 %. Sie ist der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und ihr stünde deshalb ein Zuschlag von 50 % zu.
Mit einer Klage machte die Arbeitnehmerin die Differenz geltend. Mit Erfolg!
Das entschied das Gericht
Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar ist. Einen solchen Grund fanden die Richter gleich in zweifacher Form: Hier wurden mit dem höheren Zuschlag sowohl die spezifischen (gesundheitlichen) Belastungen durch die Nachtarbeit als auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen.
Praxisrelevanz der Entscheidung
Der 10. Senat des BAG hatte parallel zu dieser über noch mehrere hundert weitere gleichlautende Klagen zu entscheiden. Mit dem hier genannten Urteil haben die Richter in Erfurt für all diese Verfahren ein Grundsatzurteil verkündet. Letztendlich sind es alles Einzelfallentscheidungen. Doch der Maßstab, der für alle Klagen gilt, heißt: Gibt es einen sachlichen Grund für eine Differenzierung und ist er im Tarifvertrag erkennbar, ist die Ungleichbehandlung zulässig.