Pflicht des Arbeitgebers zur Erfassung der Arbeitszeit – aber kein Initiativrecht des Betriebsrats

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In seinem gestrigen Beschluss (BAG, Beschluss vom 13.9.2022, 1 ABR 21/22) hat das BAG eine für die Praxis sehr bedeutsame Entscheidung getroffen: Arbeitgeber sind bereits jetzt verpflichtet, die Arbeitszeit der Beschäftigten umfassend zu dokumentieren. Kommt ein Arbeitgeber seiner Dokumentationspflicht nicht nach, kann der Betriebsrat eine elektronische Zeiterfassung aber nicht durch die Einigungsstelle erzwingen. Aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ergibt sich kein Initiativrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung.

Was war passiert?

Arbeitgeber und Betriebsrat verhandelten über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Nach Auffassung des Betriebsrats sei eine Arbeitszeiterfassung im Interesse der Arbeitnehmer erforderlich, um unbezahlten Überstunden sowie der Verletzung von Ruhepausen vorzubeugen. Während der Arbeitgeber die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ablehnte, bestand der Betriebsrat auf ihre Einführung und ließ gerichtlich die Einigungsstelle einsetzen. Der Arbeitgeber hält die Einigungsstelle für unzuständig, da dem Betriebsrat nach einer älteren Entscheidung des BAG (BAG, Beschluss vom 28.11.1989 - 1 ABR 97/88) bei der Einführung einer technischen Einrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG kein Initiativrecht zustehe.

Entscheidung des BAG

Das BAG hat zugunsten des Arbeitgebers entschieden und ein Initiativrecht des Betriebsrats abgelehnt – jedoch mit einer neuen Argumentation:

Während das BAG in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1989 ein Initiativrecht mit der Begründung ablehnte, dass Zweck der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sei, den Persönlichkeitsbereich der Beschäftigten vor den Gefahren einer technischen Überwachung zu schützen, was ausschließe, dem Betriebsrat selbst das Recht zu geben, die Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung zu verlangen, argumentierte das BAG jetzt wie folgt:

Ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung scheide deshalb aus, weil der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 BetrVG nur mitbestimmen könne, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht bestehe.

Und nun folgte der Paukenschlag das BAG: Ein Initiativrecht des Betriebsrats bestehe deshalb nicht, weil Arbeitgeber bereits jetzt gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu dokumentieren, obwohl eine ausdrückliche gesetzliche Regelung hierzu fehlt.

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Im Jahr 2019 hatte der EuGH (EuGH, Urteil vom 14.05.2019 - C-55/18) entschieden, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet sein müssen, ein objektives System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Die überwiegenden Stimmen in Deutschland sind der Meinung, dass das Urteil des EuGH Arbeitgeber nicht unmittelbar binde, sondern den deutschen Gesetzgeber dazu verpflichte, eine neue gesetzliche Regelung zur Aufzeichnungspflicht zu schaffen. Bis jetzt ist der deutsche Gesetzgeber nicht tätig geworden. Es existiert im deutschen Recht keine ausdrückliche Verpflichtung aller Arbeitgeber, die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu dokumentieren. Die Dokumentationspflicht beschränkt sich lediglich auf Überstunden sowie Sonn- und Feiertagsarbeit.

Nach der Entscheidung des BAG sind dennoch sämtliche Arbeitgeber in Deutschland verpflichtet, die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeiter zu dokumentieren. Die Aufzeichnungspflicht folgt nach Ansicht des BAG aus der unionsrechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen.

Der bis jetzt untätig gebliebene Gesetzgeber wird durch die Entscheidung des BAG zum schnellen Handeln aufgefordert, um einen rechtlichen Rahmen für die Arbeitszeiterfassung zu schaffen. Die weiteren Entwicklungen sind daher abzuwarten. Über die aktuelle Rechtslage zur Arbeitszeit informieren wir Sie in unserem Symposium ,,Die aktuellen Entwicklungen im Arbeitszeitrecht".

14. September 2022

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