Diese Frage hat die Arbeitsgerichte bis hin zum BAG beschäftigt. Gibt es eventuell so etwas wie eine Anscheinsvollmacht, die es ermöglicht, dass der Betriebsratsvorsitzende auch ohne Beschluss des Gremiums eine Betriebsvereinbarung abschließen kann? Das würde bedeuten, dass dem Betriebsrat die Erklärung seines Vorsitzenden unter bestimmten Umständen zugerechnet wird. Lesen Sie hier, wie die Richter entschieden haben.
Das war passiert:
Ein Industriemechaniker stritt sich mit seiner Arbeitgeberin, einer Stahlfirma, darüber, welches Einstufungssystem für sein Arbeitsentgelt anzuwenden ist.
Im Jahr 1967 trat eine Betriebsvereinbarung im Unternehmen in Kraft, nach welcher die Entgelteinstufung nach einer analytischen Arbeitsbewertung erfolgte. Nach dieser Betriebsvereinbarung wurde der Arbeitnehmer in die Lohngruppe 26 eingestuft und erhielt ein Bruttomonatsgehalt von 3.894,24 Euro.
Im Jahr 2017 unterzeichnete der Betriebsratsvorsitzende ohne vorausgehenden Betriebsratsbeschluss eine Betriebsvereinbarung, welche die vorherige Betriebsvereinbarung ablöste. Nach der neuen Betriebsvereinbarung erfolgte die Eingruppierung nun nach einer summarischen Bewertung. Auf dieser Grundlage wurde der Industriemechaniker in die Lohngruppe 6 des neuen Entgeltsystems eingruppiert. Sein monatliches Entgelt betrug nun nur 3.694,24 € brutto.
Gegen diese Einstufung wehrte sich der Mitarbeiter vor dem Arbeitsgericht Wuppertal und dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Er machte geltend, der Vorsitzende hätte die neue Betriebsvereinbarung ohne vorausgehenden Betriebsratsbeschluss unterzeichnet, was deren Unwirksamkeit zur Folge haben müsste. Deswegen sei er nach der Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1967 wieder in die Lohngruppe 26 des alten Entgeltsystems einzustufen. Der Arbeitgeber war anderer Ansicht: Seiner Meinung nach sei die neue Betriebsvereinbarung wirksam. Zwar habe der Betriebsrat den Vorsitzenden nicht zum Abschluss der Betriebsvereinbarung bevollmächtigt, ihm sei aber das Handeln des Vorsitzenden nach den Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht zuzurechnen. Während der Mechaniker in denen ersten beiden Instanzen keinen Erfolg hatte, gab das Bundesarbeitsgericht ihm nun Recht.
Das entschied das Gericht:
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden (08.02.2022 - 1 AZR 233/21)., dass die neue Betriebsvereinbarung nicht wirksam zustande gekommen ist, weil es an einem Beschluss des Betriebsrats für deren Abschluss fehlt. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Vorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Denn nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan. Er bildet seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss, § 33 BetrVG. Eine Erklärung des Vorgesetzen, die nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasst ist, ist daher unwirksam und kann keine Rechtswirkungen entfalten. Die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017 ist somit unwirksam.
Dem Betriebsrat kann die ohne einen entsprechenden Betriebsratsbeschluss abgegebene Erklärung des Vorsitzenden auch nicht auf der Grundlage einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden. Nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht kann einer Partei das Handeln eines Dritten zugerechnet werden, wenn sie hätte erkennen können, dass der Dritte in ihrem Namen auftritt. Denn dann wird der ,,Anschein‘‘ geschaffen, als wäre der Dritte zu seinem Handeln bevollmächtigt. Unter diesen Voraussetzungen müsste der Betriebsrat daher für das Handeln seines Vorsitzenden einstehen, da er hätte erkennen können, dass der Vorsitzende in seinem Namen handelt.
Die Grundsätze der Anscheinsvollmacht sind nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts beim Handeln eines Betriebsratsvorsitzenden ohne vorausgehenden Betriebsratsbeschluss allerdings nicht anwendbar. Denn im Gegensatz zu einem gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Stellvertreter, bei welchem diese Grundsätze über die Anscheinsvollmacht Anwendung finden, vertritt der Vorsitzende den Betriebsrat gerade nicht in seinem Willen, sondern lediglich in der Erklärung. Der Vorsitzende gibt nur Erklärungen für den Betriebsrat ab, welche auf Entscheidungen des Betriebsrats als Gremium beruhen. Dem Vorsitzenden ist es verwehrt, anstelle des Betriebsrats Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Die Willensbildung steht nur dem Betriebsrat, nicht aber dem Vorsitzenden zu.
Übrigens
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