Betriebsversammlungen in Zeiten von Corona

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Interview mit Ines Heinsius, Juristin und Mitarbeiterin der Rechtsabteilung bei der aas.

Der Betriebsrat ist vom Gesetz her verpflichtet, regelmäßig Betriebsversammlungen (§ 43 Abs. 1 BetrVG) durchzuführen. Dies ist in Zeiten von Corona jedoch gar nicht so einfach. Was ist möglich? Ines Heinsius, Juristin und Mitarbeiterin der Rechtsabteilung bei der aas, klärt die wichtigsten Fragen.

Der neue § 129 BetrVG bietet (noch)die Möglichkeit, Betriebsversammlungen als Video-Konferenz durchzuführen. Das war vor der Pandemie-Zeit gar nicht denkbar. Wieso eigentlich nicht?

Ines Heinsius: In der Hauptsache geht er hier um das Gebot der Nichtöffentlichkeit nach § 42 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Da stellt sich in erster Linie die Frage, wie dieses Gebot gewährleistet sein soll, wenn die Veranstaltung als Videokonferenz durchgeführt wird. Genau darauf nimmt der neue § 129 BetrVG in Absatz 3 auch Bezug. Er sagt: „Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.“

Wie kann es praktisch umgesetzt werden, dass tatsächlich nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können?

Ines Heinsius: Denkbar wäre beispielsweise, den Berechtigten vorab eine Kombination aus Benutzername und Passwort zu übermitteln, mit deren Hilfe nur sie an einer Online-Videokonferenz teilnehmen können. Sie müssen außerdem dafür Sorge tragen, dass keine unberechtigten Personen anwesend sind, die von den Inhalten der Versammlung etwas mitbekommen. Das gilt für Mitarbeiter im Büro ebenso wie für die im Homeoffice. Auch ein Aufzeichnen ist nicht erlaubt, das steht ausdrücklich im Gesetz. Der Betriebsrat hat hier die Aufgabe, eine passende Videokonferenz-Software zu finden. Und die Teilnehmer müssen über die geeignete Hardware verfügen. Falls das Know-how des Betriebsrats für die Auswahl einer entsprechenden Ausstattung nicht ausreicht, und auch im Betrieb kein Experte hilft, kann er sich von einem externen Berater unterstützen lassen, § 80 Abs. 3 BetrVG.

Wer trägt all diese Kosten?

Die erforderlichen Kosten für die Ausstattung und auch für den Sachverständigen trägt der Arbeitgeber nach § 40 BetrVG.

Was genau versteht man eigentlich unter einer audiovisuellen Einrichtung?

Ines Heinsius: Die Teilnehmer müssen in der Lage sein, die Versammlung nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Ein Austausch bzw. Kommunikation und Diskussion müssen möglich sein. Damit Redebeiträge der Teilnehmer nicht zu kurz kommen, kann der Betriebsrat beispielsweise auf ein Tool zurückgreifen, das mit einer „Chat-Funktion“ ausgestattet ist. Das Thema Datenschutz spielt hier auch eine große Rolle. Der Betriebsrat sollte sich bei der Auswahl der Software daher vorher gut informieren, im Zweifel wieder mit Hilfe eines Sachverständigen.

Sind denn virtuelle Betriebsversammlungen jetzt Pflicht oder besteht nach wie vor die Möglichkeit der Präsenzveranstaltung?

Ines Heinsius: Präsenzveranstaltung haben nach wie vor Vorrang. Der Betriebsrat kann im Ausnahmefall eine audiovisuelle Veranstaltung durchführen, wenn die entsprechenden genannten Voraussetzungen gegeben sind. Übrigens hat sich mit so einer Frage auch schon die Rechtsprechung beschäftigt. Das Landesarbeitsgericht Hamm hält die Abhaltung von Betriebsversammlungen in Präsenzveranstaltungen trotz der Pandemie weiterhin für möglich, sofern die geltenden Infektionsschutzvorgaben hinreichend sichergestellt werden (05.10.2020, 13 TaBVGa 16/20).

Was steckt genau hinter dieser Entscheidung?

Ines Heinsius: In dem vorliegenden Fall wollte der Betriebsrat eine Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung durchführen. Der Arbeitgeber war jedoch der Ansicht, er müsse diese gemäß dem in der Corona-Pandemie neu eingeführten § 129 Abs. 3 BetrVG virtuell abhalten. Doch das Landesarbeitsgericht gab dem Betriebsrat recht. Durch das Wort „können“ in § 129 Abs. 3 BetrVG hat der Gesetzgeber dem Betriebsrat einen Beurteilungsspielraum eingeräumt. Der Betriebsrat kann selbst entscheiden, ob er die Betriebsversammlung als Präsenzveranstaltung oder als Videokonferenz abhält. Natürlich müssen die für solche Veranstaltungen geltenden Infektionsschutzvorgaben hinreichend sichergestellt sein. Denn schließlich, so das Gericht, ist die Durchführung als Präsenzveranstaltung der Regelfall.

Sobald der Befristungszeitraum des in der Corona-Pandemie neu eingeführten § 129 Abs. 3 BetrVG Ende Juni abgelaufen ist, müssen Betriebsversammlungen dann wieder alternativlos als Präsenzveranstaltungen erfolgen?

Ines Heinsius: Das wird man sehen. Vielleicht wird der § 129 BetrVG noch einmal verlängert oder es gibt doch noch eine entsprechende Regelung in einem anderen Gesetz. In dem neuen Betriebsrätemodernisierungsgesetz, das ja auch weiterhin Betriebsratssitzungen im Form von Telefon- und Videokonferenzen erlaubt, ist das Thema Betriebsversammlung nicht mehr erwähnt. Daraus kann man schließen, dass der Gesetzgeber diese Veranstaltung in digitaler Form nicht mehr als Alternative anbieten möchte – warum auch immer. Es bleibt immer noch die Option, Teilversammlungen nach § 42 Abs. 1 BetrVG durchzuführen. Diese sind möglich, wenn wegen der Eigenart des Betriebs eine Versammlung aller Arbeitnehmer zum gleichen Zeitpunkt nicht durchgeführt werden kann. Und das ist ja in der Pandemiezeit einfach schwierig. Bei kleineren Versammlungen dürfte es einfacher sein, die Hygiene- und Abstandsregeln etc. einzuhalten.

14. Mai 2021

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