Aktuell finden im Zeitraum vom 01.03.2022 bis 31.05.2022 die Betriebsratswahlen statt. Kommt es bei der Vorbereitung oder der Durchführung der Wahl zu Fehlern, kann die Wahl angefochten werden und unter Umständen sogar nichtig sein. Welche Voraussetzungen hier im Einzelnen vorliegen müssen, lesen Sie hier.
Unterscheidung zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit der Wahl
Für die Folgen von Fehlern bei der Wahlvorbereitung und Wahldurchführung muss strikt differenziert werden, ob der Fehler zur Nichtigkeit der Wahl führt oder nur zu ihrer Anfechtung berechtigt. Bei einer nichtigen Betriebsratswahl hat zu keinem Zeitpunkt ein Betriebsrat bestanden. Das hat gravierende Folgen: alle Beschlüsse und Betriebsvereinbarungen verlieren rückwirkend ihre Wirksamkeit. Zudem fehlt ein besonderer Kündigungsschutz der ,,Schein‘‘-Betriebsratsmitglieder nach §§ 15 KschG, 103 BetrVG. Anders ist dies bei bloßer Anfechtbarkeit der Wahl: Bei erfolgreicher Anfechtung bleiben alle bisherigen Beschlüsse und Betriebsvereinbarungen wirksam. Auch der besondere Kündigungsschutz entfällt erst nach der gerichtlichen Entscheidung. Mit der Gerichtsentscheidung besteht kein Betriebsrat mehr und es müssen Neuwahlen durchgeführt werden.
Voraussetzungen der Nichtigkeit der Betriebsratswahl
Aufgrund der weitreichenden Folgen einer nichtigen Betriebsratswahl ist diese nur ausnahmsweise und unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Diese sind nicht gesetzlich geregelt, sondern vom Bundesarbeitsgericht entwickelt worden. Demnach setzt die Nichtigkeit der Wahl einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl voraus. Es darf nicht mal mehr der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegen. Stattdessen muss die Betriebswahl ,,den Stempel der Nichtigkeit‘‘ tragen, sodass niemand auf die Gültigkeit der Wahl vertrauen durfte. Aufgrund dieser hohen Hürden wird eine Nichtigkeit nur in seltenen Fällen angenommen. Beispiele sind die Wahl durch oder von Nicht-Wahlberechtigten, Terrorisierung der Belegschaft während der Wahl oder die Durchführung der Wahl in einem Betrieb, der nicht dem Betriebsverfassungsgesetz unterliegt.
Voraussetzungen der Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl
Im Gegensatz zur Nichtigkeit sind die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit gesetzlich geregelt. § 19 Abs. 1 BetrVG bestimmt, dass die Wahl angefochten werden kann, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist. Das bedeutet, dass nicht jede Verletzung einer Wahlvorschrift zur Anfechtung berechtigt, sondern erst ein Verstoß gegen eine „wesentliche“ Vorschrift, also eine Norm mit einer ,,Muss‘-Formulierung. Beispiele für wesentliche Vorschriften sind: § 14a BetrVG (Verkennung der Voraussetzungen für das vereinfachte Wahlverfahren), § 20 BetrVG (unzulässige Beeinflussung der Wahl durch den Arbeitgeber, den Wahlvorsand, die Gewerkschaft oder durch Arbeitnehmer) und § 3 Abs. 2 Nr. 5 WO (unzutreffende Angaben im Wahlausschreiben über das Minderheitengeschlecht). Der Verstoß ist nicht beachtlich, wenn eine rechtzeitige Berichtigung erfolgt ist und die Wahl anschließend noch ordnungsgemäß ablaufen kann.
Des Weiteren setzt die Anfechtbarkeit der Wahl voraus, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis geändert oder beeinflusst werden konnte. Wäre auch bei Einhaltung der Vorschrift das gleiche Wahlergebnis erzielt worden, ist eine Anfechtung demnach nicht möglich.
Die Anfechtung der Wahl kann beim Arbeitsgericht durch mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder den Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen ab dem Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen. Dem Betriebsrat selbst sowie einem einzelnen Arbeitnehmer steht kein Anfechtungsrecht zu.
Darüber hinaus ist der seit Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes neue § 19 Abs. 3 BetrVG zu beachten. Danach ist das Anfechtungsrecht der Wahlberechtigten ausgeschlossen, wenn die Begründung darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist. Denn: In diesem Fall hätten sie bereits vorher nach Aushang der Wählerliste die Möglichkeit gehabt, nach § 4 WO Einspruch gegen deren Richtigkeit einzulegen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Wahlberechtigten an der rechtzeitigen Einlegung eines Einspruchs gehindert waren. Dann bleibt das Anfechtungsrecht bestehen. Auch die Möglichkeiten des Arbeitgebers, gegen eine Wahl vorzugehen, wurden durch die neue Vorschrift eingeschränkt. Sein Anfechtungsrecht ist ausgeschlossen, soweit es darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist und wenn diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht. Immerhin liegt es in seinem Verantwortungsbereich, bei den Informationen zur Erstellung der Wählerliste alles richtig zu machen.
Ausblick
In letzter Zeit haben Verstöße gegen das Neutralitätsgebot des § 20 Abs. 2 BetrVG durch unzulässige Wahlwerbung durch den Wahlvorstand, Verstöße gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl (§ 26 WO) und die Einreichung von Wahlvorschlägen am letzten Tag der Einrichtungsfristen die Gerichte beschäftigt. Mit dem Inkrafttreten der neuen Wahlordnung am 15.10.2021 und ihren vielzähligen Änderungen (vgl. hierzu auch unserer Blogbeitrag), die in dieser Wahl erstmals anzuwenden sind, werden viele neue Fälle vor Gericht landen. Über die wichtigen Entwicklungen wird die aas Sie informieren (OS).