
Das Betriebsverfassungsgesetz geht grundsätzlich davon aus, dass Auszubildende, die Mitglied der JAV oder des Betriebsrats sind, nach Beendigung der Ausbildung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Von dieser Pflicht zur Weiterbeschäftigung kann ein Arbeitgebender jedoch unter bestimmten Voraussetzungen befreit sein, zum Beispiel, wenn ihm dies nicht „zumutbar“ ist. Doch was heißt das eigentlich genau? Mit dieser Frage hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen beschäftigt.
Die Leitsätze
- Neben personen- und verhaltensbedingten Gründen können auch betriebliche Gründe die Unzumutbarkeit begründen, z.B. wenn im Betrieb kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der Auszubildende mit seiner erworbenen Qualifikation dauerhaft beschäftigt werden kann.
- Für die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung gemäß § 78 a Abs. 4 BetrVG ist der Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses maßgebend. Angesichts der eindeutigen Regelung in § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann nicht auf einen Betrachtungszeitraum von einem Jahr vor und nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses abgestellt werden.
LAG Niedersachsen, 14.02.2024 - 2 TaBV 4/23
Ein Auszubildender aus der JAV will übernommen werden
Arbeitgeberin war in diesem Fall eine Brauerei. Ein Auszubildender begann hier eine Ausbildung zum Brauer und Mälzer. Er war außerdem Mitglied in der JAV. Seine Ausbildung endete am 3. Juni 2022. Die Arbeitgeberin teilte dem Azubi fristgerecht mit, dass eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Ausbildung nicht möglich sei. Im Produktionsbereich seien keine unbefristeten freien Planstellen vorhanden.
Die Arbeitgeberin kommt mit dem Argument der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung
Der Auszubildende verlangte trotzdem form- und fristgemäß die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht die Auflösung dieses Arbeitsverhältnisses. Sie ist der Meinung, die Weiterbeschäftigung des Auszubildenden sei ihr aus den oben genannten Gründen nicht zuzumuten. Das kein passender Arbeitsplatz für den Auszubildenden vorhanden wäre, hatte sich aus der im Juni/Juli 2021 erstellten Personalplanung für die Produktion für das Jahr 2022 ergeben. Die erforderlichen 15 Planstellen für Brauer/Mälzer waren demnach alle besetzt. Eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit gab es nicht bzw. wurden von dem Auszubildenden abgelehnt.
Da der Auszubildende meint es bestehe in dem Betrieb sehr wohl ein konkreter über die 15 behaupteten Planstellen hinausgehender Beschäftigungsbedarf für Brauer/Mälzer, stritten die Beteiligten nun gerichtlich über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Das Gericht entschied im Sinne der Arbeitgeberin
Das zwischen der Arbeitgeberin und dem Auszubildenden nach § 78 a Abs. 2 BetrVG zustande gekommene Arbeitsverhältnis ist gemäß § 78 a Abs. 4 BetrVG aufzulösen, weil der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung nicht zumutbar war, so das Urteil.
Unzumutbarkeit aus betrieblichen Gründen
Durch das Übernahmeverlangen des Auszubildenden ist zwar grundsätzlich ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis entstanden, § 78 a Abs. 2 BetrVG. Der Arbeitgeberin war jedoch die unbefristete Weiterbeschäftigung tatsächlich nicht zumutbar. Neben personen- und verhaltensbedingten Gründen können auch betriebliche Gründe die Unzumutbarkeit begründen, z.B. wenn im Betrieb kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der Auszubildende mit seiner erworbenen Qualifikation dauerhaft beschäftigt werden kann.
Beschäftigung bestimmt sich nach Personalplanung
Ob ein Beschäftigungsbedarf für den durch § 78 a BetrVG geschützten Auszubildenden zur Verfügung steht, bestimmt sich u.a nach der Personalplanung des Arbeitgebers, der darüber entscheidet, welche Arbeiten im Betrieb verrichtet werden und wie viele Arbeitnehmer damit beschäftigt werden sollen – zumindest in der Privatwirtschaft: Kein Einstellungsbedarf - kein freier Arbeitsplatz. Soweit der Arbeitgeber mit seinen Maßnahmen nicht erkennbar das Ziel verfolgt, die Übernahme der durch § 78 a BetrVG geschützten Auszubildenden zu verhindern, steht es in seiner Entscheidungsfreiheit, durch wie viele Arbeitnehmer er die anfallenden Arbeiten verrichten lässt.
Der Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ist entscheidend
Die Weiterbeschäftigung eines durch § 78 a BetrVG geschützten Auszubildenden kann dem Arbeitgeber im Einzelfall auch zumutbar sein, wenn er einen kurz vor der Beendigung der Berufsausbildung frei gewordenen Arbeitsplatz wiederbesetzt hat, statt ihn für einen nach § 78 a BetrVG geschützten Auszubildenden freizuhalten. Das gilt regelmäßig bei einer Besetzung, die innerhalb von drei Monaten vor dem vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses vorgenommen wird, weil der Arbeitgeber innerhalb des Drei-Monatszeitraumes des § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG mit einem Übernahmeverlangen rechnen muss. Dies war hier jedoch nicht der Fall.
Praxishinweis:
Die in § 78 a BetrVG enthaltene Übernahmeverpflichtung von Jugend- und Auszubildendenvertretern nach Beendigung ihrer Ausbildung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis soll die Ämterkontinuität der in Abs. 1 genannten Arbeitnehmervertretung gewährleisten und den Amtsträger vor nachteiligen Folgen bei seiner Amtsführung während des Berufsausbildungsverhältnisses schützen.