Das Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit

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Viele Beschäftigte kennen das Problem: Sie sind bereits im wohlverdienten Feierabend oder Urlaub, da versucht ihr Vorgesetzter, sie per Telefon, Mail oder SMS zu erreichen. Auf solche Kontaktversuche des Arbeitgebers außerhalb der regulären Arbeitszeit müssen Arbeitnehmer in Australien nun nicht mehr reagieren. In einem am 26.08.2024 in Australien in Kraft getretenen Gesetz wird Beschäftigten ein Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit eingeräumt.  

Ziel des Gesetzes zum Recht auf Nichterreichbarkeit und globale Reaktionen

Ziel des Gesetzes ist es, Arbeitnehmer vor den Konsequenzen ständiger Erreichbarkeit zu schützen. Wenn außerhalb der Arbeitszeit ständig das Telefon klingelt, sorgt dies für Stress, Druck und Überbelastung – und das hat Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit der betroffenen Arbeitnehmer. Aus Angst vor arbeitsrechtlichen Sanktionen nehmen Beschäftigte diese Folgen ständiger Erreichbarkeit für ihr Privatleben und ihre Gesundheit jedoch häufig in Kauf. 

Dass Arbeitnehmer aufgrund der digitalen ,,Arbeitswelt 4.0‘‘ in ihrer Freizeit nicht mehr abschalten können, ist ein weltweites Phänomen. In Europa haben bereits einige Länder auf diese Entwicklung reagiert. So hat Frankreich im Jahr 2016 ein Gesetz verabschiedet, nach welchem Arbeitnehmer nicht mehr außerhalb ihrer Arbeitszeit für den Arbeitgeber erreichbar sein müssen. Ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen fehlt aber bisher.  

Diskussionen um das Gesetzt ,,Grundrecht auf Nichterreichbarkeit‘‘

Auf europäischer Ebene wurde zuletzt vor drei Jahren ein ,,Grundrecht auf Nichterreichbarkeit‘‘ für Arbeitnehmer diskutiert. Das Europäische Parlament forderte damals die Einführung eines solchen Grundrechts, um die Grenzen von Arbeit und Privatleben zu wahren. Insbesondere für Beschäftigte, die im Homeoffice arbeiten, bestehe nach Auffassung des EU-Parlaments die Schwierigkeit, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben zu finden.  

Das Europäische Parlament hat die EU-Kommission Anfang 2021 dazu aufgefordert, einen Vorschlag für ein solches Gesetz vorzulegen. Die Sozialpartner, welche die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der EU vertreten, führten im Anschluss Verhandlungen über die Aktualisierung der Bedingungen für Telearbeit im europäischen Raum, welche aber erfolglos blieben. Ende April 2024 hat die Europäische Kommission nun die erste Phase eines förmlichen Verfahrens zur Konsultation der Sozialpartner zur fairen Telearbeit und zum Recht auf Nichterreichbarkeit eingeleitet. Es bleibt abzuwarten, wann die Kommission einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen wird. 

Rechtsprechung und Ausblick in Deutschland

In Deutschland existiert derzeit kein Gesetz, das ein ,,Recht auf Nichterreichbarkeit‘‘ von Beschäftigten ausdrücklich regelt. Das LAG Schleswig-Holstein hat in einem viel diskutierten Urteil (LAG Schleswig-Holstein Urt. v. 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22) ein Recht auf Unerreichbarkeit in der Freizeit angenommen. In dem Fall ging es um einen Notfallsanitäter, welchem eine kurzfristige Änderung des Dienstplans für den nächsten Tag per SMS mitgeteilt wurde. Auf die SMS seines Arbeitgebers reagierte er nicht und erschien auch nicht zum eingeteilten Dienst. Daraufhin mahnte der Arbeitgeber ihn ab und zog ihm die Fehlstunden vom Arbeitszeitkonto ab. Hiergegen klagte der Arbeitnehmer. Das LAG Schleswig-Holstein gab ihm Recht: Es bestehe keine Verpflichtung, in der Freizeit eine SMS des Arbeitgebers zu lesen. Freizeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer in diesem Zeitraum dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehen und selbstbestimmt entscheiden können, wie und wo sie diese Freizeit verbringen. Daher stehe Arbeitnehmern ein Recht auf Unerreichbarkeit zu.  

Der Arbeitgeber gab sich mit dieser Entscheidung nicht zufrieden und legte Revision beim BAG ein – mit Erfolg. Das BAG hat in einem aufsehenerregenden Urteil (BAG v. 23.08.2023 – 5 AZR 349/22) entschieden, dass der Arbeitnehmer verpflichtet war, die per SMS mitgeteilte Weisung des Arbeitgebers zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn ihn die Nachricht in seiner Freizeit erreicht hat. Nach der Betriebsvereinbarung war der Arbeitgeber nämlich berechtigt, die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag zu konkretisieren. Wegen dieser Regelung in der Betriebsvereinbarung war der Arbeitnehmer auch verpflichtet, sich außerhalb seiner regulären Einsatzzeit über seine Arbeitszeit zu informieren. 

Ob das BAG mit diesem Urteil ein ,,Recht auf Nichterreichbarkeit‘‘ von Arbeitnehmern generell negiert oder lediglich in diesem Einzelfall die Informationspflichten des Arbeitnehmers über die Lage seiner Arbeitszeit konkretisiert hat, ist unter Juristen bislang umstritten. Fest steht lediglich, dass es – anders als in Australien – in Deutschland kein ausdrückliches Gesetz zur Nichterreichbarkeit in der Freizeit gibt. Die weiteren Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung können daher mit Spannung erwartet werden.  

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09. September 2024

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