Freistellungen

Kommentar zu § 38 BetrVG

Je mehr Arbeitnehmer in einem Betrieb beschäftigt werden, desto höher ist der Aufwand für eine wirkungsvolle Interessenvertretung. Darum sieht das Gesetz vor, dass ein oder mehr Betriebsratsmitglieder vollständig von der Arbeit freizustellen sind, wenn im Betrieb eine bestimmte Anzahl Arbeitnehmer beschäftigt werden.

Bei der in § 38 Abs. 1 BetrVG genannten Tabelle handelt es sich um eine Mindestanzahl von freizustellenden Betriebsratsmitgliedern. Es können also auch mehr sein. Allerdings braucht man dazu schon sehr wichtige Gründe, z. B. wenn sich die Betreuung der Arbeitnehmer in einem Betrieb mit vielen weit auseinanderliegenden Filialen aufwendig gestaltet. Weiter in diesem Thema hier (Abs. 1)

Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder

In welchen Betrieben wie viele Freistellungen?

Beschäftigt ein Betrieb in der Regel zwischen 200 und 500 ständig beschäftigte Arbeitnehmer, ist (mindestens) ein Betriebsratsmitglied vollständig von seiner Arbeit freizustellen. Die Tabelle in § 38 Abs. 1 BetrVG stellt hierbei einen Mindestanspruch dar. Bei Vorliegen wichtiger Gründe können auch darüber hinaus Betriebsratsmitglieder freigestellt werden, allerdings müssen für weitere Freistellungen sehr wichtige Gründe vorliegen. So kann ein Betrieb zum Beispiel aus vielen Filialen bestehen, die auch noch weit auseinanderliegen, und sich die Betreuung der Arbeitnehmer deshalb für den Betriebsrat zeitaufwendig und schwierig gestalten.

Aber auch aus Sicht des Arbeitgebers kann es unter Umständen sinnvoll sein, ein Betriebsratsmitglied vollständig für den Betriebsrat freizustellen, wenn häufige Freistellungen nach § 37 Abs. 2 BetrVG dazu führen, dass die Betriebsabläufe dadurch schwer planbar werden. Außerdem kann durch einen Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung eine andere Freistellungsstaffel vereinbart werden.

Wichtig ist die Frage, wann die Schwellenwerte erreicht sind. Das Gesetz spricht von „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmern. Es kommt nicht darauf an, ob diese Arbeitnehmer auch wahlberechtigt sind (z. B. Jugendliche unter 18 Jahren zählen mit). Auch Leiharbeitnehmer zählen nach der Regel des § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG ebenso mit wie jeder Teilzeitbeschäftigte, selbst wenn er nur wenige Stunden in der Woche tätig ist (z. B. Mini-Job).

Der Anspruch auf Freistellung nach § 38 BetrVG ist nicht an die Amtszeit des Betriebsrats gebunden. So kann es sein, dass die Zahl der Arbeitnehmer während der Amtszeit des Betriebsrats ansteigt und dadurch während der Amtszeit Anspruch auf eine weitere Freistellung entsteht.

Kommt es hinsichtlich der Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Arbeitgeber, können diese in einem Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht geklärt werden.

Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder

Wer wird freigestellt und nach welchem Verfahren?

Welches Betriebsratsmitglied von der Arbeit freigestellt werden soll, entscheidet der Betriebsrat per Wahl in einer Betriebsratssitzung.

Der Betriebsrat kann auch beschließen, ob eine volle Freistellung in Teilfreistellungen aufgeteilt wird. Ob Freistellungen auf mehrere Betriebsratsmitglieder aufgeteilt werden sollen, will gut überlegt sein und hängt mit den Begebenheiten des Betriebes oder der persönlichen Situation der Betriebsratsmitglieder zusammen.

Beispiele:        

1) Der Betriebsrat beschließt, eine volle Freistellung (gemeint ist die Stundenzahl eines Vollzeitbeschäftigung in Bezug auf die Wochenarbeitszeit) auf zwei in Vollzeit beschäftigten Kollegen aufzuteilen. Einer arbeitet jeweils Montag bis Mittwochmittag nur noch für den Betriebsrat und den Rest der Woche am Arbeitsplatz.

Der andere Kollege arbeitet Montag bis Mittwochmittag am Arbeitsplatz und den Rest der Woche für den Betriebsrat. Auch andere Aufteilungen sind möglich.

2) Ein in Teilzeit beschäftigtes Betriebsratsmitglied soll vollständig freigestellt werden. Nun besteht noch die Möglichkeit, ein weiteres Betriebsratsmitglied für die Zeit freizustellen, die die Differenz zwischen Teilzeit und Vollzeit ausmacht.

Welches Betriebsratsmitglied freigestellt werden soll, entscheidet der Betriebsrat. Keinesfalls hat das Betriebsratsmitglied mit dem besten Wahlergebnis oder automatisch der Betriebsratsvorsitzende einen Anspruch darauf, freigestellt zu werden. Es kann jedes andere Betriebsratsmitglied sein, wenn der Betriebsrat dies für sinnvoll hält.

Bevor der Betriebsrat endgültig über die Person des freizustellenden Betriebsratsmitglieds entscheidet, soll eine Beratung mit dem Arbeitgeber erfolgen.

Wichtig: Der Arbeitgeber bestimmt nicht mit, wer freizustellen ist. Der Betriebsrat soll lediglich die Meinung des Arbeitgebers kennen und bei seiner Meinungsbildung berücksichtigen.

Anschließend wählt der Betriebsrat die freizustellenden Mitglieder.

Bei dem Wahlverfahren gibt es aber Regeln zu beachten: Die Wahl ist geheim durchzuführen!

  • Es besteht keine Bindung an die Vorschlagslisten bei der Betriebsratswahl.
  • Wird lediglich ein Wahlvorschlag eingereicht, erfolgt die Wahl als Personen-/Mehrheitswahl.
  • Werden mehrere Wahlvorschläge (Listen) eingereicht, so werden die freizustellenden Betriebsratsmitglieder per Verhältnis-/Listenwahl gewählt. Anwendung findet dann das d´Hondtsche Höchstzahlverfahren.

Anschließend teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber mit, welches Betriebsratsmitglied oder welche Betriebsratsmitglieder von der Arbeit nach § 38 BetrVG freizustellen sind.

Hat der Arbeitgeber sachliche Bedenken, kann er innerhalb einer Frist von zwei Wochen, nachdem der Betriebsrat ihn über die Besetzung informiert hat, die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) anrufen.

Ruft der Arbeitgeber die Einigungsstelle nicht innerhalb der zwei Wochen an, gilt die Zustimmung zur Freistellung automatisch als erteilt, § 38 Abs. 2 Satz 7 BetrVG. Der Arbeitgeber muss also die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern nicht ausdrücklich genehmigen oder ihr zustimmen.

Nach Ablauf der Frist nimmt das Betriebsratsmitglied die Freistellung wahr.

Schutz vor Entgeltverlust, berufliche Entwicklung und Qualifizierung

Schutz freigestellter Betriebsratsmitglieder vor Nachteilen

Betriebsratsmitglieder sollen generell weder benachteiligt noch bevorzugt werden. Das gilt selbstverständlich auch für Betriebsratsmitglieder, die vollständig von der Arbeit freigestellt werden.

In Bezug auf das Arbeitsentgelt gilt grundsätzlich das gleiche wie in § 37 Abs. 4 BetrVG, § 38 Abs. 3 BetrVG. Während der Amtszeit und ein Jahr danach darf ein freigestelltes Betriebsratsmitglied nicht schlechter bezahlt werden als vergleichbare Arbeitnehmer. Sind Betriebsratsmitglieder drei Amtsperioden freigestellt, erhöht sich der nachwirkende Schutz auf zwei Jahre. Dabei sind auch Zulagen, leistungsabhängige Entgeltbestandteile wie Prämien usw. zu berücksichtigen und auszugleichen.

Außerdem ist die finanzielle Entwicklung der vergleichbaren Arbeitnehmer (Tarifsprünge, Höhergruppierungen und ähnliches) während der Freistellungszeit des Betriebsratsmitglieds zu berücksichtigen.

Beispiel: Der Arbeitgeber führt eine neue IT-Technologie ein, die nach dem Tarifvertrag zu einer Höhergruppierung bei den vergleichbaren Arbeitnehmern führt. Auch das freigestellte Betriebsratsmitglied muss dann höhergruppiert werden.

Es gibt keine festgeschriebene Berechnungsformel für die Berechnung von Ausgleichszahlungen. Es empfiehlt sich, dass das Betriebsratsmitglied selbst ausrechnet, welche Entgeltbestandteile auszugleichen sind, und dann eine entsprechende Forderung an den Arbeitgeber richtet, um den Ausgleich mit ihm zu regeln.

Der Schutz vor Benachteiligung gilt auch für die berufliche Entwicklung. Um nicht während der Freistellung den beruflichen Anschluss zu verlieren, haben freigestellte Betriebsratsmitglieder Anspruch darauf, während der Freistellung an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen, § 38 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Gemeint sind sowohl innerbetriebliche als auch extern durchgeführte Bildungsmaßnahmen.

Beispiel: Es werden neue Maschinen angeschafft. Um diese bedienen zu können, werden die vergleichbaren Arbeitnehmer geschult. Nun hat auch das freigestellte Betriebsratsmitglied einen Anspruch auf diese Schulungen.

Und schließlich stellt sich die Frage, was mit freigestellten Betriebsratsmitgliedern geschieht, die nach ihrer Amtszeit wieder zu ihrer Arbeit zurückkehren wollen.

Denen muss der Arbeitgeber ein Jahr lang die Möglichkeit einräumen, eine unterbliebene betriebsübliche berufliche Entwicklung nachzuholen, § 38 Abs. 4 Satz 2 BetrVG. Wer drei Amtsperioden freigestellt war, hat hierzu zwei Jahre Zeit.

Der Schutz vor Nachteilen wegen einer Freistellung ist ein individueller Anspruch der Betriebsratsmitglieder. Der Anspruch kann (falls erforderlich) vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht werden.

§ 38 - Freistellungen

Von ihrer beruflichen Tätigkeit sind mindestens freizustellen in Betrieben mit in der Regel

200 bis 500 Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied,
501 bis 900 Arbeitnehmern 2 Betriebsratsmitglieder,
901 bis 1.500 Arbeitnehmern 3 Betriebsratsmitglieder,
1.501 bis 2.000 Arbeitnehmern 4 Betriebsratsmitglieder,
2.001 bis 3.000 Arbeitnehmern 5 Betriebsratsmitglieder,
3.001 bis 4.000 Arbeitnehmern 6 Betriebsratsmitglieder,
4.001 bis 5.000 Arbeitnehmern 7 Betriebsratsmitglieder,
5.001 bis 6.000 Arbeitnehmern 8 Betriebsratsmitglieder,
6.001 bis 7.000 Arbeitnehmern 9 Betriebsratsmitglieder,
7.001 bis 8.000 Arbeitnehmern 10 Betriebsratsmitglieder,
8.001 bis 9.000 Arbeitnehmern 11 Betriebsratsmitglieder,
9.001 bis 10.000 Arbeitnehmern 12 Betriebsratsmitglieder.

In Betrieben mit über 10.000 Arbeitnehmern ist für je angefangene weitere 2.000 Arbeitnehmer ein weiteres Betriebsratsmitglied freizustellen. Freistellungen können auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen. Diese dürfen zusammengenommen nicht den Umfang der Freistellungen nach den Sätzen 1 und 2 überschreiten. Durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung können anderweitige Regelungen über die Freistellung vereinbart werden.

Die freizustellenden Betriebsratsmitglieder werden nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl; ist nur ein Betriebsratsmitglied freizustellen, so wird dieses mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Der Betriebsrat hat die Namen der Freizustellenden dem Arbeitgeber bekannt zu geben. Hält der Arbeitgeber eine Freistellung für sachlich nicht vertretbar, so kann er innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Bekanntgabe die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Bestätigt die Einigungsstelle die Bedenken des Arbeitgebers, so hat sie bei der Bestimmung eines anderen freizustellenden Betriebsratsmitglieds auch den Minderheitenschutz im Sinne des Satzes 1 zu beachten. Ruft der Arbeitgeber die Einigungsstelle nicht an, so gilt sein Einverständnis mit den Freistellungen nach Ablauf der zweiwöchigen Frist als erteilt. Für die Abberufung gilt § 27 Abs. 1 Satz 5 entsprechend.

Der Zeitraum für die Weiterzahlung des nach § 37 Abs. 4 zu bemessenden Arbeitsentgelts und für die Beschäftigung nach § 37 Abs. 5 erhöht sich für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, auf zwei Jahre nach Ablauf der Amtszeit.

Freigestellte Betriebsratsmitglieder dürfen von inner- und außerbetrieblichen Maßnahmen der Berufsbildung nicht ausgeschlossen werden. Innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds ist diesem im Rahmen der Möglichkeiten des Betriebs Gelegenheit zu geben, eine wegen der Freistellung unterbliebene betriebsübliche berufliche Entwicklung nachzuholen. Für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, erhöht sich der Zeitraum nach Satz 2 auf zwei Jahre.

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